Sibe Hängste und Hohgant

Zweitägige Rundwanderung um das Felsmassiv der Sibe Hängste und des Hohgant. Mit Zelt, Kocher und einer guten Portion Abenteuerlust durch Wälder, Moore, über Wiesen, Schnee und steinige Bergwege.

Donnerstag, 23. April 2020

Folgte man den Empfehlungen des Bundesrates, war Bergsteigen während der vorherrschenden Corona-Situation nicht wirklich angemessen. Auch die geplanten Kletterferien, welche ich mit Dominik diese Woche im französischen Orpierre im Département Hautes-Alpes südlich von Grenoble verbringen wollte, fiel dieser Pandemie zum Opfer. Doch ganz wollten wir uns den Kontakt zur Natur und den Bergen nicht nehmen lassen. Es sollte ein kleines Corona-konformes Trekking werden.

Blick von Innereriz zur Sichel (Pass)
Blick von Innereriz zur Sichel (Pass)

Seit Wochen beglückte uns täglich Sonnenschein und trotzdem lag in den Schweizer Bergen noch eine Unmenge an Schnee. Bis auf 1'800 Meter glänzte die weisse Pracht im tiefblauen Hintergrund und in den Niederungen sprossen die Blätter und Blüten nur so hinaus.

Typische Emmentaler-Hügellandschaft
Typische Emmentaler-Hügellandschaft

Dominik und ich suchten also ein Gebiet, wo nicht zu viel Schnee lag, genügend hergab für eine zweitägige Tour, wir einsam unterwegs waren und auch ein wenig fordernd war. Das Tessin kam da nicht in Frage und natürlich auch der französische Jura nicht. Ein Blick auf die Schweizerkarte brachte uns zu den Emmentaler Alpen und wo wir uns eine Tour um die Gebirgsstöcke Sibe Hängste und Hohgant zurechtlegten.


Der Start- und Zielort hiess Innereriz – der hinterste Winkel des Zulgtals, welches mit dem Auto erreichbar ist. Hier parkten wir auf dem grossen Ski- und Wanderparkplatz bei Schwändli. Ein Blick hoch zur "Sichle" – der markante Pass, den wir überschreiten würden – zeigte, dass in diesem Nordhang nicht mehr allzu viel Schnee lag und die Steigeisen nicht notwendig sind. Zudem hatten wir noch Stöcke dabei. Die Steigeisen blieben somit im Auto.

Zuhinterst im Bild erkennt man den Beatenberg mit der grossen Antennenanlage auf dem Gipfel.
Zuhinterst im Bild erkennt man den Beatenberg mit der grossen Antennenanlage auf dem Gipfel.

Wir schritten los, vorbei an den beiden Skiliften von Eriz und gelangten bald auf den Bergweg, welcher uns fortan in Richtung des Sichle-Passes führte (Geissegg, Undere-/Oberschöriz). Wir bewunderten die liebliche Landschaft mit den saftig grünen Hügeln auf der einen Seite und auf der anderen den felsigen, rauen Gebirgsstock der Sibe Hängste.

Kurz vor Oberberg
Kurz vor Oberberg

Obwohl wir uns "nur" zwischen 1'600 und 1'800 Metern Höhe bewegten, kam uns die Landschaft schon sehr alpin vor. Erst recht, als wir kurz vor der Sichle über den Schnee hoch zum Pass hinauf stampfen mussten.

Auf dem Sichle-Pass (1'679m) zischte kalte Luft auf unsere verschwitzten T-Shirts und wir stiegen sogleich ins Justistal hinunter nach Hinterberg (1'368m). Auf dem Gegenanstieg nach Oberberg machten wir an einem schönen Plätzchen auf der Höhe von Luusbüel eine Mittagspause. Leider verbarg eine verirrte Wolke gerade jetzt die Sonne, wodurch die Pause nicht zu lange ausfiel.


Dafür genossen wir auf den Bänkchen in Oberberg (1'770m) so richtig die Sonne. Bevor wir hier losmarschierten galt es nochmals Sonnencreme einzuschmieren. Denn mit Eintritt in die Wildruhe- und Naturschutzzone, änderte sich auch unser Wanderboden. Auf dieser Höhe bewegten wir uns hauptsächlich im Schnee, welcher so richtig in der Sonne glänzte.

Immer wieder mussten wir über Wasserläufe springen und sanken bis zu den Knien im Schnee ein.
Immer wieder mussten wir über Wasserläufe springen und sanken bis zu den Knien im Schnee ein.

Das Vorwärtskommen verlangsamte sich. Immer wieder brachen wir knietief ein und mussten Ansammlungen von Schmelzwasser umgehen. Dafür zeigte sich die Natur von Ihrer schönsten Seite. Es kam uns vor, als wären wir in Schweden oder Norwegen unterwegs. Traumhaft wild und einsamen.

Zum Abendessen gab es Polenta...
Zum Abendessen gab es Polenta...
...mit Speck und Zwiebeln.
...mit Speck und Zwiebeln.

Nach dem Vorder-, Mittler- und Hinterseefeld erreichten wir den Grünbergpass (1'554m). Ausserhalb der Wildschutzzone richteten wir an einem lauschigen Ort behutsam unser Nachtlager ein. Bedacht darauf, möglichst keine Spuren zu hinterlassen und die Natur zu schonen, biwakierten wir nach einer guten Polenta mit Zwiebeln und Speck. 

Freitag, 24. April 2020

Absolute Stille und ein riesiges Sternenmeer. Dies waren meine Gedanken als ich am nächsten Tag aufwachte. Da aufgrund der Coronasituation keine Flugzeuge umherflogen, war es wirklich still. Nur die Vögel und Laute anderer Tiere waren zu hören. Leider flog wenig später die Schweizer Luftwaffe in einer Übung umher und demonstrierte, wie laut diese Flieger doch sind.

Blick auf die Siebe Hängste und den zurückgelegten Weg.
Blick auf die Siebe Hängste und den zurückgelegten Weg.

Aufgrund des üppigen Schnees kamen wir nur langsam vorwärts. Vorbei an Troge, Mundeloch und Haglätsch erreichten wir endlich Pt. 1'735 und schlugen den Weg in Richtung Hohganthütte ein. Ab hier waren wir nicht mehr ganz so einsam unterwegs. Immer wieder trafen wir auf dem weiteren Weg auf andere Wanderer.

Doch glücklicherweise nicht so viele wie die Krokusse, welche unzählig aus dem feuchten Boden sprossen und die Flur mit den verschiedensten Farbtupfern schmückten.

Die Hohganthütte (1'804m) war aufgrund von Corona geschlossen. Erinnerungen an eine Schneeschuhtour, welche ich im Jahr 2006 hier mit Tanja gemacht hatte, kamen hoch. Noch immer sah hier alles genau gleich aus. Warum auch ändern – die Hütte unterhalb des Hohgant mit der traumhaften Aussicht liegt einfach perfekt!

Es lag noch ein langer Weg vor uns und wir legten einen Zahn zu. Zum Glück waren Spuren im Schnee, was die Orientierung wesentlich vereinfachte. Bei viel Schnee und schlechter Sicht, könnte man sich hier schnell mal verirren.

Blick auf den langen Brienzergrat.
Blick auf den langen Brienzergrat.

Auch die Strecke von Schärpfeberg (1'290m) nach Hübeli (1'090m) zog sich in die Länge. Nach einer Mittagspause machten wir uns der Emme entlang auf zum touristischen Kemmeribodenbad. Auch hier war erwartungsgemäss alles geschlossen, obwohl einige Touristen, Wanderer und Hündeler (zu Deutsch: Hundespaziergänger) unterwegs waren.

Blick auf das Hohgantmassiv.
Blick auf das Hohgantmassiv.

Eigentlich hatten wir gedacht, dass wir heute einen gemütlichen Wandertag hätten, doch der Karte war zu entnehmen, dass wir noch eine lange Wanderstrecke vor uns hatten. Wir gaben Gas, obwohl nochmals einige hundert Höhenmeter vor uns lagen. Baumgarten, Luterschwändli und schliesslich nochmals hoch nach "Gemeinenwängen" auf 1'318 Meter.

Die Hohganthütte. Ein lausches Plätzchen zum Verweilen.
Die Hohganthütte. Ein lausches Plätzchen zum Verweilen.

Das wirklich "gemeine" war, dass es nach jedem Hügel wieder runterging, um dann sogleich am nächsten "Hogger" wieder hochzusteigen. Belohnt wurden wir jedoch abermals mit dem grossartigen Panorama auf die Emmentaler Alpen und das wilde Hohgantmassiv mit den skurrilen Felsen. Ein Turm folgte dem nächsten und wir als Bergsteiger fragten uns natürlich ob man hier klettern kann, wie die Felsqualität wohl ist und ob Routen vorhanden waren.

Alphütte bei Baumgarten.
Alphütte bei Baumgarten.

Doch der Weg benötigte unerlässlich die Aufmerksamkeit. Wir befanden uns stets auf einem Bergweg, welcher über Stock und Stein führte. Es folgte ein Abschnitt durch einen wunderschönen alten Märchenwald. Im Gegensatz zur anderen Gebirgsseite war alles mit einer dicken, grünen Moosschicht überzogen und der Wald bestand aus Laubbäumen.

Blick auf die skurrilen Felswände und Formationen.
Blick auf die skurrilen Felswände und Formationen.

Als wir Breitwang (1'294m) erreichten kam Erleichterung auf. Das Ziel, der Wanderparkplatz von Innereriz war nahe. Doch selbst der letzte Abstieg vom "Vorderen Rotmösli" (was für ein Name) erforderte Trittsicherheit sowie Aufmerksamkeit.

Bald am Ziel bei Innereriz.
Bald am Ziel bei Innereriz.

Zurück beim Auto kühlten wir unsere Füsse in der Zulg ab und dachten an die vergangenen 48 Stunden und die 38 gegangenen Kilometer zurück. Was hatten wir doch für ein abwechslungsreiches Trekking erlebt: Grossflächige Krokusfelder auf saftig grünen Bergwiesen, weitläufige Moorlandschaften in den verschiedensten Farben, schneeverhangene Wegstrecken in lichten Bergföhrenwäldern und gewaltige Formationen aus Schrattenkalk, welche den alpinen Charakter des Hohgants unterstrichen.

Kurzum war es "nur" eine Wanderung, doch das gesuchte Natur- und Bergerlebnis kam keinesfalls zu kurz!

Weitere Fotos der Tour