Hahneschritthore

Ein alpines Tourenwochenende mit Höhen und Tiefen: Einsame Bergwelt, faszinierende Steinwüste, filmreicher Sonnenuntergang, Biwak unter dem Sternenhimmel und grossartige Erinnerungen trotz fataler Planungsfehler, die es zu verarbeiten galt.

Ein Biwakplatz wie im Bilderbuch
Ein Biwakplatz wie im Bilderbuch

Prolog

Nicht jede Tour führt zum geplanten und erwarteten Erfolg. Das soll an dieser Stelle mal gesagt werden. Die vielen "erfolgreichen" Tourenberichte lassen einen glauben, dass immer alles perfekt und wie angedacht funktioniert. Übers Versagen oder Fehler wird selten gesprochen. Für diese Wahrheit sind wir oft zu wenig "offen" oder sagen wir es klarer; wir haben Angst unser Gesicht zu verlieren oder schämen uns.

Dominik im Aufstieg zur Dürrsee-Ebene
Dominik im Aufstieg zur Dürrsee-Ebene

Doch liegt gerade in dieser Wahrheit die Quelle der Verbesserung und Weiterentwicklung. Zwar dauert es immer ein wenig, um sich zu öffnen. Ein wenig Zeit muss vergehen, eine gewisse Distanz muss zwischen dem Ereignis liegen und man muss die Situation akzeptiert haben. Nur so lernt man dazu. In unserem Fall, dass man im alpinen Gelände IMMER ein Seil mit dabeihaben sollte. Doch hier die Geschichte dazu:

Samstag, 19. August 2023

An diesem Wochenende ging es einmal nicht früh los. Erst gegen Mittag machte ich mich mit einem grossen Trekkingrucksack, welchen ich zuvor durch einen kleineren getauscht hatte weil nicht alles hineinpasste, auf den Weg nach Liestal. Darin befand sich neben dem Klettermaterial auch die Biwakausrüstung für die Nacht, genügend Getränke und das Essen für die nächsten zwei Tage. Der angedachte Gipfel war das 3’250 Meter hohe Wildhorn, welches ich zusammen mit Dominik über die Germannrippe erklettern wollte.

Faszinierende, karge Berglandschaft!
Faszinierende, karge Berglandschaft!

Ziel der heutigen Etappe sollte Dürrsee oberhalb der Iffigenalp im Simmental sein. Die Anreise zur Alp brachte ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln hinter mich. In Olten traf ich auf Dominik, welcher von Basel anreiste. Zusammen ging es weiter nach Bern, Spiez, Zweisimmen nach Lenk und dann mit dem Bus ins Pöschenriedtal hinein bis nach Iffigenalp.

Biwak eingerichtet; Zeit fürs Abendessen. Im Hintergrund die Germannrippe mit dem Grat zum Wildhorn.
Biwak eingerichtet; Zeit fürs Abendessen. Im Hintergrund die Germannrippe mit dem Grat zum Wildhorn.

Dort starteten wir um 16.00 Uhr, als sich die meisten Tagestouristen schon wieder auf dem Heimweg machten. Wir wanderten mit unseren schweren Rucksäcke durch das malerische Iffigtal, welches sich nicht besser für einen Schweizer Tourismus-Prospekt eignen würde. Es war heiss und eigentlich hätten wir gerne im tiefblauen Iffigensee auf 2’065 Meter gebadet. Doch vor uns befanden sich noch weitere 400 Höhenmeter.

In der sommerlichen Hitze, welche selbst hier oben zu spüren war, schritten wir weiter, passierten unauffällig die Wildhornhütte des SAC und stiegen wenig später die Moräne hoch in Richtung Pt. 2543. Dort verliessen wir den Wanderweg und peilten die steinerne Hochebene rund um den Dürrsee an.

Dominik auf abendlicher Erkundungstour.
Dominik auf abendlicher Erkundungstour.

Hier tauchten wir in eine andere Welt ein: War es das steinerne Meer rings um uns herum? Die mächtigen Felskolosse? Das abendliche, sanfte Licht? Die Stille?

Unsere Bedenken, einen flachen Biwackplatz zu finden, waren unbegründet. Nahe einem der Dürrseen fanden wir eine tadellos ebene Fläche, wo wir unser Biwack aufstellten. Vor dem Abendessen erkundeten wir die Umgebung, studierten die Felsen der Germannrippe und gingen nochmals unseren Plan für die morgige Tour durch.

Bald beschert uns ein grandioser Sternenhimmel.
Bald beschert uns ein grandioser Sternenhimmel.

Da mussten wir feststellen, dass unser Zeitmanagement nicht passte! Die Rippe zu klettern, den Gipfel zu erklingen, über den Gletscher abzusteigen, unser Biwackmaterial abzuholen und dann noch rechtzeitig den letzten Alpenbus zu erreichen, würde in einem extrem stressigen Vorhaben enden.

Wieso hatten wir dies nicht bereits bei der Planung zu Hause realisiert? Einen zeitlich stressigen Tag wollten wir auf keinen Fall. Wären wir mit dem Auto angereist, so hätten wir Luft nach hinten, aber das letzte Postauto war ein harter Blocker.

Dies wollten wir beide nicht und wir diskutierten die Alternativen: Nur Germannrippe klettern, Gipfel über den Wildgrat und über den Gletscher zurück, Gipfel über den Wildgrat und den Wildgrat wieder zurück.

Eindrücke am nächsten Morgen.
Eindrücke am nächsten Morgen.
Langsam erreichen uns die Sonnenstrahlen.
Langsam erreichen uns die Sonnenstrahlen.

Schlussendlich entschieden wir uns für die letztere Tourenvariante und assen mit einem guten Gefühl, begleitet vom Schauspiel der letzten Sonnenstrahlen, auf den Felswänden unser Abendessen. Auf einer kleinen Anhöhe mit Blick auf die Dürrseen und unser Biwack, durften wir wenig später einen wunderschönen Sonnenuntergang miterleben. Die blutorangene Sonne versank langsam am Horizont und über unseren Köpfen brach eine glitzernde Sternennacht herein, welche wir aus unseren Schlafsäcken aus noch lange bewundern durften. Der Tag war perfekt!

Sonntag, 20. August 2023

Eine ruhige und warme Nacht lag hinter uns. Wir assen eine Kleinigkeit und räumten nebenbei unser Biwak zusammen. Nicht benötigtes Material deponierten wir unter einem Felsblock. Dann schritten wir los in Richtung Silberritze und peilten Pt. 2739 an, welcher den Einstieg zum Westgrat bzw. den späteren Wildgrat darstellt.

Dominik auf dem Westgrat, welcher zum Wildgrat führt.
Dominik auf dem Westgrat, welcher zum Wildgrat führt.

Als wir kurz vor 07:00 Uhr den Grat erreichten, wurden wir von der aufgehenden Sonne begrüsst. Die ganze Umgebung erschien in zarten gelborangenen Farben und es kündigte sich wiederum ein hochsommerlicher Tag an.

Die Kletterei bis zum Pt. 2949 war zwar etwas ausgesetzt, jedoch recht einfach. Am dortigen Punkt befindet sich auch der Ausstieg der Germannrippe. Wir gingen davon aus, dass der Grat bis zum Gipfel diesem Nieveau entsprechen würde (gem. Literatur ZS- und Kletterstellen bis II), wurden aber schon wenige Meter später eines Besseren belehrt.

Blick von Pt. 2949 auf das Hahneschritthore, welchem wir wenig später einen Besuch abstatteten.
Blick von Pt. 2949 auf das Hahneschritthore, welchem wir wenig später einen Besuch abstatteten.

Vor uns lag eine Scharte, die es abzuklettern galt, bevor es auf der anderen Seite wieder ein paar Meter steil und ausgesetzt hochging. Technisch einfach, doch jetzt kommt es: Wir hatten kein Seil dabei! Wir waren nach unserer gestrigen kurzfristigen Umplanung sicher, dass wir keines benötigen würden. Nun standen wir da wie Idioten, welche aufgrund einer kurzen Passage die sicherungsbedürftig ist, nicht bis zum Gipfel weitersteigen konnten.

Wir diskutierten, suchten alternative Wege und ärgerten uns über uns selbst. Es half jedoch alles nichts: das Risiko des ungesicherten Kletterns schätzten wir beide als zu gross ein. Wir drehten um und stiegen über den Grat wieder ab bis Pt. 2739, wo wir erst mal eine Rast einlegten.

Blick vom Hahneschritthore zum Einschnitt des "Chatzegrabe" (Pt2712), den Westgrat sowie das Wildhorn.
Blick vom Hahneschritthore zum Einschnitt des "Chatzegrabe" (Pt2712), den Westgrat sowie das Wildhorn.

Ich ärgerte mich über unsere Dummheit. Auch die Weisheiten wie «Die besten Bergsteiger sind jene, die wieder gesund nach Hause kommen» halfen nicht wirklich gegen den Frust. Alles war so perfekt und wir am Grateinstieg gestrandet.

Ein neues Gipfelziel musste her! Dies war auch schnell gefunden: Das Hahneschritthore im Norden. Der 2'833 Meter hohe Berg mit Zustieg T6, II, PD war auch ohne Seil gut zu meistern. Vorbei an der beeindruckenden, extrem wilden Schneise des Chatzegrabe (Pt. 2712), erkletterten wir das Hahneschritthore über die Südrampe.

Der türkisblaue Iffigsee.
Der türkisblaue Iffigsee.

Oben machten wir eine längere Rast und genossen die herrliche Aussicht über die einsame Landschaft, bevor wir durch die Silberritze zurück zu unserem Depot am Dürrsee abstiegen. Der Weg nach Iffigenalp war lange, verlief aber in grossartiger Landschaft. Dieses Mal stoppten wir am Iffigsee, kühlten unsere Beine im Wasser ab und tranken unseren letzten Wasservorrat.

Gerade noch pünktlich erreichten wir den Bus an der Haltestelle. Das Tourenbierli musste bis zum Bahnhof in Zweisimmen warten; schmeckte dafür umso besser. Ein anstrengendes, turbulentes und wunderschönes Biwaktouren-Wochenende ging zu Ende.

Lessons Learned:

  • "Die Zeitplanung ist das A und O"
    > …und sollte seriös im Vorfeld erfolgen.
  • "If you have a plan, stay on the plan."
    > Planänderungen in letzter  Minute sind nie gut.
  • "Keine fixen Tourenziele; nur Ideen mit Alternativen"
    > So ist man nicht enttäuscht, wenn man ein Ziel mal nicht erreicht.
Der Weg hinunter zur Iffigenalp war lange, verlief aber in grossartiger Landschaft.
Der Weg hinunter zur Iffigenalp war lange, verlief aber in grossartiger Landschaft.

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